Ein transkulturelles Verständnis des Arztes über seine Patienten aus anderen Kulturen kann ihm/ihr helfen, u.a. Probleme transkultureller Ehen, Vorurteile und ihre Bewältigung, Krankheit und Symptome zu verstehen, die aus einem anderen kulturellen Rahmen entstammen. In diesem Zusammenhang können auch politische Probleme besser verstanden werden, die sich aus der transkulturellen Situation ergeben.

Die Weisheit, ohne Beziehung gibt es keine Erziehung, lässt sich auf die Arzt-Patient-Beziehung übertragen, ohne Beziehung zum Patienten kein Verständnis und Heilung. Diese Arbeitshypothese gilt besonders für orientalische Patienten*, die ihr Selbstverständnis aus einer Kollektivkultur (Wir-Stärke) entlehnen. Im Gegensatz dazu die mitteleuropäische Kultur, die mit ihrer Individualkultur (Ich-Stärke) andere Persönlichkeitsanteile favorisiert.

* Mit der Bezugnahme «Orientalischer Patient» ist eine stereo­typi­sche Verallgemeinerung gemeint, sowie auch wenn von «Westlichen Patienten» gesprochen wird. In dieser Vereinfachung werden eher Mehrheitsverhältnisse gemeint, doch ist immer zu bedenken, dass jede Kultur in sich selbst heterogen ist.

Ein transkulturelles Verständnis des Arztes über seine Patienten aus anderen Kulturen kann ihm/ihr helfen, u.a. Probleme transkultureller Ehen, Vorurteile und ihre Bewältigung, Krankheit und Symptome zu verstehen, die aus einem anderen kulturellen Rahmen entstammen. In diesem Zusammenhang können auch politische Probleme besser verstanden werden, die sich aus der transkulturellen Situation ergeben [3].

Für die Arzt-Patient-Beziehung bedeutet dies, der Arzt drückt mit seiner Verbundenheit (Beziehung) sein Verständnis über die individuelle Lebenssituation des Patienten aus, der sich über das Verständnis dem Arzt bereitwillig öffnet und ihm die Autoritätsrolle und die Rolle des Wissenden überträgt (Erwartung, geholfen und geheilt zu werden). Kann der Arzt die Beziehung zu seinem Patienten aus dem orientalischen Kulturraum positiv gestalten, lernt er u.a. auch viel über die unterschiedliche emotionale Stressverarbeitung, die in Abhängig der kulturellen-sozialen Bezüge selbstverständlich abgeleitet sind, die dem Arzt schliesslich Auskunft über die unterschiedliche Wahl des Organs gibt. Kulturelle Syndrome: oft werden kulturell bedingt verschiedene Organe als Ort der Störung wegen der äusseren Faktoren beim Arzt erwähnt, so z.B. brennende Leber in der Türkei, im Iran und Frankreich bei Verlust, Trennung und Trauer [4,5]. Ebenso das gebrochene Herz, ähnlich wie bei Angina pectoris bei Liebesverlust und Einsamkeit schmerzt den Schweizer oder Deutschen das Herz, weshalb die Deutschen 4–6 Mal häufiger im Vergleich zu Briten und Amerikanern mit Herztabletten behandelt werden [4]. Auch andere Organe wie Bauch, Nabel und der Kopf werden als körperbezogene Signale «organchiffriert» und für das Leiden benutzt.

Grundlage dafür ist ein psychosomatisches Verständnis, das sich transkulturellen Wissens bedient, wie sich durch emotionales Stresserleben, kulturabhängige Konzepte auf den Körper auswirken und darüber Auskunft über das individuelle emotionale Konflikterleben gibt. Da individuelle Wirklichkeitskonzepte eng mit Sozialisationsnormen und Sinnzusammenhängen verknüpft sind, steht das individuelle emotionale Konflikterleben in einem engen kulturellen und sozialen Kontext.

Gelingt dieses Verständnis (auch in Form von Verständnis-Deutungen und -Fragen), werden die bis dahin selbstverständlichen Massstäbe, mit denen Sachverhalte und Verhaltensweisen beurteilt wurden (in der Regel geschieht dies unbewusst), durchlässig, sodass eine bewusste Distanzierung zu den eigenen Konzepten und Verhaltensgewohnheiten erfolgen kann. Mit einem verstehenden Versprachlichen der dahinter liegenden unbewussten Bedürfnisse (Bewusstwerdung), werden dem Patienten Selbsthilfemöglichkeiten eröffnet, in denen er/sie diese Zusammenhänge erst erkennen kann, wie er/sie seine Bedürfnisse zusammen mit seinem Arzt in Einklang bringen kann [3].

Die bis dahin selbstverständlichen Massstäbe, mit denen Sachverhalte und Verhaltensweisen beurteilt wurden, werden durchlässig, sodass eine Distanzierung zu diesen Konzepten und Verhaltensgewohnheiten erfolgen kann. Peseschkian bezeichnet diesen Vorgang als «metatheoretische Umdeutung»**. Mit dem transkulturellen Verständnis kann die Bereitschaft des Patienten erhöht werden, alternative Lösungsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen, indem ihm die Relativität des Krankheitsbegriffes und seine Abhängigkeit von dem dazugehörigen kulturellen Bezugsrahmen bewusst gemacht werden [6,7].

** Das transkulturelle Denken versucht die individuellen und kollek­tiven Denkmuster aus anderen Kulturen als andere individuelle Vorstellungen von Alltagswirklichkeit einzuführen, die ­einen Perspektivwechsel und neue Sinnzusammenhänge assoziieren helfen.

Beispiel Einsamkeit

«Einsamkeit hat im deutschen Sprachgebrauch einen positiven Beigeschmack.» Gemäss Wilhelm Tells Motto «Der Starke ist am mächtigsten alleine» gilt vielen die Fähigkeit, selbständig, unabhängig und allein zu sein, als Inbegriff von Stärke. In Deutschland fällt es nicht weiter auf, wenn jemand allein spazieren geht und seinen Gedanken nachhängt. Im Orient erweckt ein solches Verhalten meist Misstrauen: «Ist er beleidigt? Ist er depressiv oder gar melancholisch? Er kann es sich und uns doch nicht antun, dass er sich ausschliesst. Wenn er Kummer hat, können wir ihm doch helfen!» Der Versuch, Einsamkeit zu erleben und sich aus dem aktuellen sozialen Geschehen zurückzuziehen, wird als Störung des gegenseitigen Vertrauens verstanden [6].

Am Beispiel der transkulturellen Bedeutung von Einsamkeit wird deutlich, wie Verhaltensweisen und deren Bedeutungen, die bis dato ausserhalb der kulturell geprägten subjektiven Vorstellungen und Wirklichkeitskonzepte standen, den selbstverständlichen Massstab für die Beurteilung eigener und fremder Identität bilden.

Dabei ist aber zu beachten, dass transkulturelles Denken auch innerhalb einer Kultur stattfindet, weil auch jede Kultur wiederum nicht einheitlich und homogen ist. Innerhalb der Bundesrepublik bestehen regionale kulturelle Identitäten (was sich für jeder andere Land auch gedacht werden kann), die untereinander erheblichere Unterschiede aufweisen können als zu anderen Nationen. Auch wäre z.B. die Problematik «Frau»–«Mann» (auch wenn beide aus der gleichen Kultur stammen) mit dem transkulturellen Denken zu relativieren, da die Rolle als «Frau»/«Mann» sozial, kulturell und biographisch mitgestaltet wird.

Mit dem Verständnis von transkulturellen Bezügen wird die bis dahin als einzig und allein rechtmässig geltende Vorstellung einer Wirklichkeit, eines Verhaltens, einer Wert- und Normvorstellung durchlässig, kann an Elastizität gewinnen und ermöglicht eine Distanzierung gegenüber den eigenen Konzepten und Verhaltensgewohnheiten [8] (Abb. 1).

Nachfolgend möchte ich an ein paar Beispielen aufführen, was damit alltagspraktisch gemeint ist und was durch die Gegenüberstellung von Ost- West-Konzepten verdeutlicht werden soll. Diese Beispiele sind als kulturelle Typisierung zu verstehen und sollen damit zur Verständigung genutzt werden.

Das Balancemodell [3] – Lebensschwerpunkte in Ost und West

Mit dem Balancemodell ist eine Vorstellung von einer umfassenden Gesundheit implizit gemeint. Wenn die vier Bereiche in einer relativen Balance im täglichen Leben besetzt und gelebt werden, wenn eine Balance innerhalb dieser Bezugnahmen möglich ist, dann kann von Lebensqualität im Sinne von Gesundheit als Ganzheit gesprochen werden. Damit sind folgende Punkte gemeint:

Körper: Gesundheit, Sexualität, Ästhetik, Hygiene, Schlaf- Wachrhythmus, Sport/Bewegung, Ernährung und Schmerz; mögliche Symptome: psychopathologische, psychomotorische, vegetative Symptome und Angst um den Körper;

Leistung: produktiver Bereich des Menschen, besonders der Beruf; mögliche Symptome: Stressreaktionen, Selbstwertprobleme, Versagensängste, Entlastungsdepression etc.;

Kontakt: Gesellschaft, Familie, Freunde, Bekannte, andere Kulturen; mögliche Symptome: Hemmung, soziale Ängste, Objektangst, Zwangshandlungen, Ablösungsproblematik etc.;

Phantasie/Zukunft: Religion, Sinn, Weltanschauung, Menschenbild, Philosophie; mögliche Symp-to-me: Zwangsdenken, Angstpsychose, Ratlosigkeit, Resignation, Suizidalität etc.

Wenn das Balancemodell als Symbol für Ganzheit steht, dann ist Gesundheit ein Idealzustand, in dem die Energieverteilung in allen Bereichen kontinuierlich ausbalanciert wird.

Mit dem Balancemodell nach Peseschkian [9] (Abb. 2) lassen sich kulturelle Unterschiede aufzeigen, wie in den verschiedenen Kulturen die Schwerpunkte unterschiedlich betont werden und darüber ist auch ein unterschiedliches Gesundheits- und Krankheitskonzept (Symptome) zu erschliessen. In den sogenannten «westlichen» Kulturen werden die Schwerpunkte auf den Bereichen Körper und Leistung favorisiert (passende Beschreibungen dazu: Ich-Stärke und Leistungsgesellschaft), während in den «östlichen» Kulturen die Schwerpunkte auf den Bereichen Kontakt und Phantasie/Zukunft liegen (passende Beschreibungen dazu: Kollektivgesellschaft und Wir-Stärke).

Wenn hier bereits davon geschrieben wurde, dass Persönlichkeit sich aus kulturellen Gewohnheiten zusammensetzt (Konzepte, Normen und Weltanschauung), dann ist entsprechend zu erwarten, dass Konflikte, Störungen und Krankheit dazu korrelieren.

Fallbeispiel

Die transkulturelle Problematik kann an einem Beispiel mit einem 64-jähriger Iraner aufgezeigt werden, der im Oktober 2020 zum Erstgespräch in meine Praxis kam. Auf die Frage, was ihn zu mir führen würde, gab er Eheprobleme an. Die Eheprobleme hätten sich in den letzten Jahren immer mehr ergeben, da seine Frau seit ca. 10 Jahren eine Arbeit bei einem Reiseunternehmen aufgenommen habe und dort zunehmend engere Beziehungen zu den Kolleginnen aufgebaut habe, die dazu führen würden, dass die Ehefrau immer mehr ausser Haus wäre. Ausserdem klagte er über Schlafstörungen, Magen- und Darmprobleme, innere Unruhe und auch über Wutgefühle gegenüber seiner Frau.

Der Patient ist mit einer sechzehn Jahre jüngeren Frau seit 18 Jahren verheiratet. Beide haben zwei Kinder (Tochter 14 J.; Sohn 12 J). Der Patient ist Moslem und im IT-Bereich berufstätig. Seine Frau stammt aus Ostdeutschland, ist evangelisch, aber Religion würde für seine Frau keine Rolle spielen. Folgender Auszug aus dem Erstinterview soll die Problematik kurz aufzeigen:

Pat.: «Es macht mich aggressiv, sie ist oft mit diesen Frauen von ihrer Arbeit nach der Arbeit zusammen und ich bekomme nicht mit, wie es ihr geht und was sie da macht.»

Therapeut: «Sie regen sich darüber auf, dass ihre Frau einen eigenen Freundeskreis mit Arbeitskolleginnen aufgebaut hat und ihre Frau sie darüber nicht informiert?»

Pat.: «Das geht doch nicht. Wieso beschäftigt sie sich mit fremden Menschen, wenn sie doch eine Familie hat?»

Der Patient ist sichtlich erregt und schaut dabei sehr ernst.

Therapeut: «Sie wünschen sich, ihre Frau sollte die Familie und die Ehe als ihr Zentrum des Lebens sehen?»

Pat.: «Ja. Was soll denn das?»

Therapeut: «Nun, ich glaube, ihre Frau hat den Wunsch, neben der Familie einen eigenen Freundeskreis zu haben.»

Pat.: «Ich mache das nicht. Ich bin nach meiner Arbeit immer gleich nach Hause gekommen.»

Therapeut: «Sie wünschen sich, dass ihre Frau viel mehr bei ihnen und ihren Kinder sein sollte?»

Pat.: «Ja. Sie sollte viel mehr auf mich eingehen, auf mich mehr zugehen und meine Empfindungen verstehen. Wenn sie nur die Hälfte an Gefühlen und Empfindungen zeigen würde, wäre ich glücklich. Wenn ich sie daraufhin anspreche, antwortet sie nur, sie sei ein soziales Wesen und weicht mir aus.»

Die Konfliktsituation des Pat. wird vor dem folgenden Hintergrund verständlich. Der Patient hatte seine Frau in den Anfängen seiner Berufstätigkeit am Arbeitsplatz kennengelernt. Schnell sei man sich nähergekommen und habe geheiratet. Er habe aber erleben müssen, wie die Eltern seiner Frau ihm gegenüber eine ablehnende Haltung wegen seiner ausländische Herkunft hatten. Die Art, wie sie dies offen und deutlich zu erkennen gaben, habe den Patienten sehr gekränkt, aber aufgrund seiner orientalischen Höflichkeit nicht anmerken lassen. Im Gegenteil, er habe seine Frau immer ermutigt, den Kontakt zu ihnen, den die Schwiegereltern nach der Eheschliessung abgebrochen hatten, weiter zu suchen. Es war für den Patienten nicht verstehbar, wie sich Eltern so ablehnend gegenüber ihrer Tochter und ihren Enkelkindern verhalten konnten.

In der Therapie konnte dem Patienten verdeutlicht werden, dass er für seine Frau einerseits Ehemann und andererseits unbewusst auch die Vaterrolle übernommen hatte. Der iranische Patient, obwohl er Moslem war, aber kein praktizierender (wie er betonte), hatte unbewusst die religiös-kulturelle Prägungen unreflektiert übernommen und unreflektiert erwartet, dass seine Frau seine Erwartungen erfüllen würde, quasi als ihre selbstverständliche Pflicht. Damit meinte er, dass es für ihn selbstverständlich war, dass seine Frau ihm Folge leisten und ihn in allem uneingeschränkt unterstützen würde, was in den ersten Ehejahren auch so funktionierte (im Sinne der patriachalischen Rolle des Mannes). Im Laufe der weiteren Ehejahre begann die Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann (im Sinne der Kollusion nach Jörg Willi# [10]), sich weiter zu befreien, was als eine Ablösung von ihrem unbewussten Vater verstanden werden kann, als Ausdruck ihrer nachreifenden Autonomie, d.h. wenn sie ihre Abwehr gegen ihren Ehemann richtete, galt diese Befreiung unbewusst eigentlich ihrem Vater. Mit anderen Worten, ihre zunehmende Autonomiebestrebung gegenüber ihrem Ehemann (dem Patienten) galt unbewusst der Ablösung von ihrem inneren Vater.

# Jörg Willi entwirft in seinem Modell der Paar-Kollusion, dass am Anfang einer Beziehung die unterschiedlichen Selbst- und Fremdbilder unbewusst das Hauptmotiv sind, sich als Paar zu finden, was nach ein paar Jahren zum Gegenstand des Konfliktes wird. Z.B. Die Frau sucht einen starken Mann, an den sie sich anlehnen kann, der Mann eine Frau, die sich an ihn ­anlehnt und er die Verantwortung für sie übernehmen kann. Aus dieser ursprünglichen Motivation wird der Gegenstand des Vorwurfs: Die Frau wirft dem Mann vor, er wolle sie immer ­dominieren und bestimmen und der Mann wirft der Frau vor, er müsse sich immer um alles kümmern und könne sich nicht auch mal anlehnen.

Der Patient wiederum übertrug unbewusst seine kulturellen Erwartungen auf seine Ehe und Ehefrau, von der er Treue und Folgsamkeit erwartete, was nicht nur sein Verständnis von Familie prägte, sondern auch sein narzisstisches Selbstwertkonzept (Eigenliebe). Die Autonomiebestrebungen seiner Frau erlebte er gleichsam als Kränkung seiner narzisstischen Bestätigung als Ehemann, gleichwohl als Untreue und als von seiner Frau verlassen zu werden. Alle autonomen Entwicklungen seiner Ehefrau nahm der Patient sehr persönlich, gegen ihn gerichtet. Aufgrund seines Höflichkeitskonzeptes versuchte er, durch subtile Vorwürfe seiner Frau Schuldgefühle zu bereiten, nach dem Motto, wie sie ihm das antun könne. Dabei richtete er zunehmend seine Aggressionen gegen das eigene Ich, was wiederum zu den beschriebenen körperlichen Symptomen führte. Dies war wiederum der Anlass für die Ehefrau, noch mehr die Autonomie zu betonen, um sich von ihrem Ehemann zu lösen. Beide Ehepartner waren auf einer unbewussten Ebene miteinander verstrickt, mit ihren nicht bewältigten und unreflektierten individuellen-kulturellen Sozialisationsnormen, die unbewusst jeweils auf den Partner übertragen wurden und zu den beschriebenen Missverständnissen führten.

Erst die Aufarbeitung des transkulturellen Hintergrundes half dem Patienten, schrittweise sein Verhalten im Zusammenhang kultureller unterschiedlicher Erwartungen zu verstehen, aus der väterlichen Rolle auszusteigen, um sich einer verstehenden zugewandten Haltung gegenüber seiner Frau zu bemühen. In weiteren Sitzungen lernte der Patient eine Impulskontrolle gegenüber seinen Kränkungsgefühlen. Dies half dem Patienten, Abstand zu seinen eigenen Erwartungen gegenüber seiner Frau einzunehmen, eher eine wohlwollende Haltung einzunehmen, um so aus der projizierten Vaterrolle auszusteigen und partnerschaftlicher zu kommunizieren, was sichtlich die angespannte Ehesituation entlastete.

 

 

Fazit

Transkulturelles Denken wäre praktisch die Möglichkeit, sich aus anderen Kulturen Lösungsvorstellungen und alternative Muster abzuschauen, sie in das persönliche System zu transferieren und im eigenen Kontext auszuprobieren. In der Arzt-Patient-Beziehung mit Patienten aus anderen Kulturen fördert es ein Verständnis für die kulturell-individuelle Symptom- und Krankheitsgeschichte, die der Patient unbewusst dem Arzt präsentiert.

Dieser Erklärungsansatz, der durch das transkulturelle Relativieren vielschichtige und mehrdeutige Wirklichkeiten gegenüber- und herausstellt, bietet gerade bezogen auf die Arzt-Patient-Beziehung die Chance, Ärzten bei der Stärkung und Entwicklung eines hohen Integrationsniveaus neue Erklärungskonzepte anzubieten, die einen Zugang zu alternativen Lösungsansätzen in der Arzt-Patient-Beziehung ermöglichen können. Konflikte und Störungen sollten auch unter dem transkulturellen Gesichtspunkt hinterfragt werden, um sich potenzielle einseitige Denkmuster bewusster zu machen, die wiederum den Arzt auf einseitige Problembewältigungs-Strategien festlegen (vgl. dazu [11]) und keine aktive Konfliktbewältigung ermöglichen (zirkuläre Konzepte, d.h. man bleibt in den gewohnten kulturellen Denkgewohnheiten, schaut nicht über seinen «Tellerrand» hinaus). Auch kann dies eventuell für die Diagnostizierung von Symptomen wie Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht und Burnout mitverantwortlich sein.

Das transkulturelle Verständnis weitergedacht, liesse postulieren: Die Menschen erkennen, dass die Erde nur noch als ein Land gesehen wird und alle Menschen seine Bürger sind. In diesem Sinne würde dieses Denken und Verständnis erheblichen Einfluss auf die Entwicklung aller Menschen dieser Erde nehmen können und die Menschen würde in den anderen Kulturen nicht nur das Fremde sehen. Stattdessen vielmehr neue Möglichkeiten, was zu einer Völkerverständigung beitragen würde und beiläufig eine Friedensmission wäre.

Take-Home-Messages

  • Persönlichkeit setzt sich aus kulturellen Gewohnheiten zusammen, darin sind Konzepte Normen, Weltanschauungen und Vorstellungen der primären Bezugsgruppe (Eltern, Familie) eingebunden, die so zu einer persönlichen und kollektiven Gewohnheit geworden sind, die wir für selbstverständlich halten.
  • Doch sind es eigentlich nur Gewohnheiten aufgrund relativer Wiederholun­gen im kulturellen, sozialen und individuellen Lebensraum, die zu einer Art strengen Gesetz werden. Zugang zu weiteren, inneren, tieferen Möglichkeiten sind abhängig von diesem Lernprozess durch Wiederholung, der uns prägt.
  • Das Ergebnis dieses Lernprozesses kann sein, dass sich das Individuum (die Person) selbst durch Annahmen begrenzt, was es kann und was es nicht kann. Dadurch reduziert das Individuum seine Kreativität und seine Fähigkeit, neue und vielfältige Möglichkeiten im Umgang mit Konflikten wahrzunehmen.
  • Mit dem Ansatz der Positiven und Transkulturellen Psychotherapie (nach Peseschkian) wird dem praktizierenden Arzt ein Verständnis und ein Handwerkzeug angeboten, wenn es keinen Ausweg gibt, wenigstens drei ­Lösungen zu finden.

Literatur:

  1. Bahá’u’lláh A: Botschaften aus Akka [Akka 1868] 1982. Hofheim.
  2. Peseschkian N: Der Kaufmann und der Papagei. Frankfurt 1979.
  3. Peseschkian N: Psychosomatik und positive Psychotherapie. Berlin 1991.
  4. Kizilhan J: Interkulturelle Aspekte der somatoformen Schmerzstörung. Psychotherapeut 2009; 54 (4): 81–88.
  5. Gün AK: Interkulturelle therapeutische Kompetenz. Möglichkeiten und Grenzen psychotherapeutischen Handelns. Kohlhammer 2017.
  6. Peseschkian N: Positive Familientherapie. Frankfurt 1982.
  7. Rösing I: Ist die Burnout-Forschung ausgebrannt? Analyse und Kritik der internationalen Burnout-Forschung. Heidelberg 2003.
  8. Welsch W: Transkulturalität – Realität – Geschichte – Aufgabe. Wien 2017.
  9. Peseschkian N: Positive Psychotherapie. Frankfurt 1977.
  10. Willi J: Die Zweierbeziehung: Das unbewusste Zusammenspiel von Partnern als Kollusion. 5. Aufl. Hamburg 2012.
  11. Savicki V: Burnout Across Thirteen Cultures. Stress and Coping in Cild and Youth Care Workers. Westport 2002.
  12. Peseschkian N: Auf der Suche nach Sinn. Frankfurt.

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