Um den sinnvollen Einsatz von Folsäure als Supplement oder dessen Anreicherung in Lebensmitteln beurteilen zu können, sind die biologische Bedeutung, die Versorgung der Bevölkerung und die gesundheitlichen, d.h. präventiven Vorteile dieses Vitamins zu kennen. Diese Aspekte sollen im folgenden Artikel beleuchtet werden.
Folsäure ist nach heutiger Definition die synthetische Form des als Folat bezeichneten Vitamins. Der Name leitet sich vom lat. «folium» (=Blatt) ab, da es zuerst aus Spinat isoliert wurde. Natürlicherweise vorkommende Folatverbindungen (= Folate) finden sich in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln. Vor allem Blattgemüse weist einen hohen Gehalt auf. Gute Folatquellen sind Spinat, Salate, Broccoli, Weisskohl, Bohnen, Tomaten, Orangen, Leber und Getreide [1].
Die synthetisch hergestellte Folsäure, die zur Nahrungsergänzung und in Arzneimitteln eingesetzt wird, enthält nur einen Glutaminsäurerest (PGA). Sie ist von allen Folat-wirksamen Verbindungen die stabilste Form mit der höchsten Oxidationsstufe [1]. Sie wird als Reinsubstanz nüchtern fast vollständig resorbiert.
Folate in Lösung sind gegenüber Licht, Sauerstoff und Hitze empfindlich und zerfallen in verschiedene Abbauprodukte. Es ist deshalb mit erheblichen Lagerungs- und Zubereitungsverlusten zu rechnen [2]. Folsäure ist dagegen die stabile Form, die durch äussere Einflüsse wenig beeinflusst wird. Wegen der unterschiedlichen Zusammensetzung und Resorption der natürlichen Folate und der synthetischen Folsäure wurde für die praktische Zufuhr-Berechnung der Begriff des Folat-Äquivalents eingeführt: 1 Folat-Äquivalent (FÄ) = 1 µg Nahrungsfolat = 0,5 µg synthetische Folsäure = 0,6 µg Folsäure der Nahrung zugesetzt (Anreicherung).
Im menschlichen Organismus kommt Tetrahydrofolat (THF), die wirksame Folatverbindung, als 5-Methyl-THF, 5,10-Methylen-THF, 5,10-Methenyl-THF und 5-Formyl-THF vor. Im Serum/Plasma ist vor allem 5-Methyl-THF-Monoglutamat vorhanden, intrazellulär Polyglutamyl-THF [3]. Dies zeigt, dass Nahrungs-Folate im Organismus verschiedenen, recht komplexen Transport- und Stoffwechselvorgängen und -regulationen unterworfen und ihre Wirkungen deshalb noch nicht in allen Details geklärt sind [4].
Biologische Funktion
Folate ermöglichen die Übertragung der CH3-(C1) oder Methylgruppen bei verschiedenen Stoffwechselreaktionen und spielen damit eine Schlüsselrolle bei der Zellteilung und der Zellerneuerung [3]. Folatmangel äussert sich vor allem an Zellsystemen mit hoher Teilungsrate, d.h. Blutzellen und Schleimhautzellen. Deshalb sind die ersten Mangelerscheinungen eine Anämie mit Blutzellveränderungen und Schleimhautentzündungen (Glossitis).
Bedarf, Versorgung und Empfehlungen
Die für die Ausreifung der Blutzellvorstufen und damit zur Verhütung einer Anämie minimal notwendige Folatmenge beträgt 50(–100) µg/d. In der Schweizer Nährwertverordnung wird der legale Wert für den Folsäure/Folacin-Tagesbedarf mit 200 µg angegeben, was nach den D-A-CH-Referenzwerten vom Jahre 2000 rund 400 µg FÄ entspricht. Damals wurde dieser Wert bestimmt, da mit dieser täglichen Dosis der Homocysteinwert (damals wichtiger Faktor für das kardiovaskuläre Risiko) im oberen Normbereich (10–12 µmol/L) stabilisiert werden konnte. Heute wird dem Homocystein allerdings weniger Bedeutung zugemessen, so dass die neue D-A-CH-Empfehlung ab August 2013 für Erwachsene 300 µg FÄ beträgt [1]. Die heute geltenden altersabhängigen Empfehlungen sind in Tabelle 1 ersichtlich.
Die neuen Empfehlungen basieren auf Literaturangaben der letzten Jahre und vor allem Untersuchungen in Deutschland und Österreich über die Folat-Versorgung der Bevölkerung und deren Folatstatus, d.h. den Bestimmungen von Folsäure im Serum/Plasma und in den Erythrozyten [1]. In der Schweiz kennen wir bisher keine solchen generellen Erhebungen über die Zufuhr von Folat mit der Nahrung und den Folatstatus ausser in wenigen kleinen Gruppen. Der Folat-Verbrauch wird bei uns anhand des gesamten Verbrauchs verschiedener Lebensmittel und deren Folatgehalt berechnet und im fünften (2001/02) und sechsten (2007/08) Schweizerischen Ernährungsbericht mit 284 und 295 µg/d und Person angegeben [6, 7]. Vielfach wird eine Unterversorgung mit Folat betont [2, 5].
Es wurde auch berechnet, dass es schwierig ist, mit einer gesunden Ernährung den täglichen Bedarf an Folat zu decken, insbesondere wenn der Bedarf erhöht ist, wie in der Schwangerschaft oder Stillzeit [1]. Verschiedene Faktoren können den Bedarf an FS erhöhen, wie Rauchen, chronischer Alkoholkonsum und Medikamente wie FS-Antagonisten, Antiepileptika (z.B. Phenytoin) [5]. Tabelle 2 zeigt, wie viel von einzelnen Lebensmitteln eingenommen werden muss, um den Bedarf von 300 µg FÄ zu decken [5].
Die Erhebungen in Deutschland und Österreich ergaben tägliche FÄ-Einnahmen in der Grösse von 190–255 µg/d, und trotzdem wurden bei Erwachsenen normale bis hochnormale Serum/Plasma- und Erythrozyten-Folatwerte gemessen, bei Jugendlichen sogar noch höhere. Aufgrund dieser Tatsachen wurden die neuen D-A-CH-Referenzwerte für Erwachsene auf 300 µg FÄ/d gesenkt [1].
Gesundheitliche Aspekte der Folsäure
Folat/Folsäure hat zahlreiche präventive Wirkungen. Diese ergaben sich vor allem aus epidemiologischen Studien, in denen bestimmte Endpunkte im Vergleich mit der Höhe der Folateinnahme ausgewertet wurden. Auch Vergleichsstudien von Krankheitsprävalenzen vor und nach der Anreicherung des Mehls mit Folsäure (heute weltweit in 75 Ländern obligat eingeführt) trugen dazu bei [8]. In der EU und in der Schweiz sind folgende gesundheitlichen Angaben bei FS-angereicherten Lebensmitteln, welche die Mindestanforderungen erfüllen (>15% des Tagesbedarfs pro 100 g, 100 ml oder Portion), zugelassen: Folat trägt «zum Wachstum des mütterlichen Gewebes während der Schwangerschaft» , «zu normaler Aminosäurensynthese», «zu normaler Blutbildung», «zu normalem Homocysteinstoffwechsel», «zu normaler psychischer Funktion», «zu normaler Funktion des Immunsystems», «zu Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung» bei und «hat eine Funktion bei der Zellteilung» [9]. In der Schweiz ist zusätzlich noch die Angabe zugelassen: «Folat wird für die Entwicklung des Neuralrohrs des ungeborenen Kindes benötigt.»
In Tabelle 3 sind in Anlehnung an Tönz die präventiven Wirkungen der Folsäure zusammengefasst [10].
Folsäure präkonzeptionell und in der Schwangerschaft
Bei der Prophylaxe von Fehlbildungen des ungeborenen Kinds stehen die Neuralrohrdefekte (NRD) im Vordergrund. NRD sind frühembryonale Entwicklungsstörungen, die sich zwischen dem 18. und 28. Tag nach der Konzeption ereignen. Kommt es in dieser Zeit nicht zum Verschluss des Neuralrohrs, dann bleiben auch Wirbelbögen (und Schädeldach) ohne Haut-Überdeckung offen (offener Rücken = spina bifida, Myelomeningocele). Trotz früher Behandlung bleiben die Kinder meist motorisch und sensibel gelähmt. Beim kranialen Defekt kommt es zur Anenzephalie, welche in der Regel letal verläuft. Die Inzidenz des NRD ist unterschiedlich und schwankt zwischen 5–6‰ und 0,8‰. In der Schweiz beträgt sie etwas weniger als 1‰ [10, 11].
In verschiedenen Interventionsstudien konnte durch eine Folsäure-Zufuhr zu Beginn der Schwangerschaft das relative Risiko des NRD um 40–100% reduziert werden. In 75 Ländern wird heute weltweit das Mehl mit Folsäure angereichert und dabei eine durchschnittliche Reduktion der NRD von 47% erreicht [8].
In der Ungarnstudie, in der die Intervention mit einem Folsäure (800 µg) enthaltenden Multivitamin-Präparat durchgeführt wurde, ist aufgefallen, dass auch – wie in Tabelle 3 erwähnt – andere Fehlbildungen (Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, angeborener Herzfehler, Harnwegsfehlbildungen, Verschluss das Darmausgangs und Gliedmassendefekte) um die Hälfte verringert waren [2, 10]. Es ist allerdings schwierig, bei einer Multivitamin-Einnahme den eindeutigen Nachweis zu erbringen, dass die Fehlbildungen allein durch Folsäure zu verhüten sind. Doch wird die Kausalität der Assoziation Folsäure und embryonale Fehlbildungen durch die Beobachtung bestätigt, dass während der Frühschwangerschaft eingenommene Folsäure-Antagonisten zu gleichen Fehlbildungsmustern führen (vier- bis siebenfach höheres Risiko als in Kontrollgruppe), wie sie durch Supplemente von Folsäure allein oder als Multivitamin verhindert werden können [10].
Bei den Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sprechen nur die orofazialen Spaltbildungen auf FS an (Reduktion um 40–60%), nicht aber die isolierten Gaumenspalten (andere Embryogenese). Bei den angeborenen Herzfehlern wurden vor allem Erfolge bei konotrunkalen Fehlbildungen (Fallot-Tetralogie) und Septumdefekten gesehen. Dies weil die Septierung der grossen Gefässe (Aorta/Pulmonalis) und die Anlage des Septum primum aus Gewebe der Neuralleiste erfolgen, was auf eine Abhängigkeit von FS hindeutet [4, 10]. Die Ausbildung der ableitenden Harnwegeerfolgt in der Embryogenese etwas später als die von Neuralrohr und Herz, weshalb die Einnahme von Folsäure bis Ende des dritten Schwangerschaftsmonats wichtig ist. Die Reduktionsrate ist hier recht hoch (bis 80%), obwohl embryologisch kein Zusammenhang mit der Neuralplatte besteht. Gliedmassendefekte sind eher selten, konnten aber durch FS um etwa 35% reduziert werden [4, 10].
Bei Müttern von Kindern mit Down-Syndrom wurden erhöhte Homocysteinwerte gefunden. Ebenso besteht ein leicht erhöhtes Risiko bei Frauen mit bestimmten Genvarianten im FS-Stoffwechsel (z.B. MTHFR C677T), ein Kind mit Down-Syndrom zu gebären. Bei Kindern mit Down-Syndrom sind angeborene Herzfehler 40-mal und frühkindliche Leukämien 20-mal häufiger als bei Kindern mit normalem Chromosomensatz [10]. Diese Befunde sprechen für einen Zusammenhang mit Folsäure. Eine Hypomethylierung der DNS in der zentromeren Region begünstigt eine Non-Disjunction, was zu einer Trisomie 21 führen kann [2]. Statistisch liess sich diese Wirkung allerdings bisher noch nicht feststellen. Der Grund liegt darin, dass die chromosomale Non-Disjunction in zwei Drittel der Fälle in Meiose 1, d.h. gegen Ende der mütterlichen Fötalzeit erfolgt, so dass ein Erfolg erst in etwa 30–35 Jahren zu erwarten ist [10].
Der Einsatz von Folsäure hat in den letzten Jahren gezeigt, dass auch einzelne frühkindliche Malignome seltener geworden sind. Das maligne Neuroblastom aus dem Sympathikus oder Nebennierenmark und die primitiven neuroektodermalen Tumoren des Gehirns gehen beide von embryonalem Nervengewebe aus. Seit der Mehlanreicherung in Amerika ist die Inzidenz des Neuroblastoms von 1,57/10’000 auf 0,62 zurückgegangen und die neuroektodermalen Tumoren sind um die Hälfte reduziert [10]. Erstmals wurde in Australien 2001 beobachtet, dass Kinder von Müttern, die in der Schwangerschaft Folsäure erhielten, um 60% seltener an akuter Lymphoblastenleukämie erkrankten. Bei Kindern mit Down-Syndrom wurde die Leukämierate um 27% gesenkt [10].
Folsäuremangel kann auch zu Schwangerschaftskomplikationen führen. Verschiedene Studien weisen auf den Zusammenhang von niedrigem Folsäurestatus mit Aborten, Präeklampsie, abruptio placentae wie auch fetalen Wachstumsstörungen hin. Solche plazentagebundenen Komplikationen wurden auch beim Einsatz von Folsäureantagonisten beobachtet. Es wird angenommen, dass Folsäure die Trophoblasteninvasion reguliert [4]. Neuere Strudien zeigen, dass FS 60% der Aborte verhindern kann [12] und das Risiko für Frühgeburten um 16% reduziert [13]. Nach einer holländischen Studie hatten Kleinkinder von Müttern, die im ersten Trimester der Schwangerschaft keine Folsäure-Supplemente einnahmen, ein um 44% höheres Risiko für Verhaltensprobleme, und in einer zweiten Studie ergab sich auch ein höheres Risiko für emotionale Probleme [4]. Niedrige Plasma-Folsäure-Werte der Mutter in der Frühschwangerschaft waren in einer englischen Studie (Beobachtungszeit von annähernd 9 Jahren) bei den Kindern mit erhöhter Rate von Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Problemen im Gruppenverhalten verbunden [4].
Folsäure allgemein
Stand früher ein niedriger Serum-Folatwert mit erhöhtem Homocystein als Risikofaktor für kardiovaskuläre Krankheiten ganz im Vordergrund, so zeigten grössere klinische Interventionsstudien mit B-Vitaminen (inklusive Folat) keine positiven Resultate zur sekundären Prävention kardiovaskulärer Krankheiten, mit Ausnahme einer Reduktion von Schlaganfall. Allerdings besteht bei höheren Homocysteinwerten eine signifikante Zunahme des Risikos für koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Krankheiten und auch für die periphere Verschlusskrankheit [14]. Die Reduktion des Homocysteins erbrachte aber keine präventiven Effekte. Homocystein ist damit ein Marker für kardiovaskuläre Krankheiten, nicht aber die Ursache. Ein Routine-Screening auf Homocystein und die Behandlung erhöhter Homocysteinwerte mit Folsäure zur Prävention können deshalb nicht empfohlen werden [14].
Der Einfluss von Folsäure zur Prävention von Krebs wird kontrovers diskutiert. Einerseits kann Folsäure DNS stabilisieren und damit tumorogene Transformationen verhindern oder limitieren, andererseits aber bei einem bereits bestehenden frühen Stadium eines Krebses dessen Proliferation und Wachstum fördern. Verschiedene epidemiologische Studien haben primär eine inverse, d.h. präventive Assoziation zwischen Folatstatus und dem Risiko für kolorektale Tumoren, Pankreas-, Brust- oder Prostata- und andere maligne Tumoren gezeigt [15].
In Folge der Anreicherung von Mehl mit FS wurde in Amerika und Kanada vorübergehend ein Anstieg von kolorektalen Tumoren und Prostata-Ca gesehen. Dies hat zu kritischen Fragen der Mehlanreicherung mit FS geführt. Auch bei Interventionsstudien für kardiovaskuläre Krankheiten mit relativ hohen Folsäuredosen (im Durchschnitt 2,5 mg/d) fanden sich einzelne Hinweise für erhöhtes Tumorwachstum. Eine kürzliche Metaanalyse konnte jedoch keinen Zusammenhang zwischen einer Folsäure-Supplementation und der Inzidenz von Dickdarm-, Prostata-, Lungen-, Brust- und anderen Organ-spezifischem Krebs während den ersten fünf Beobachtungsjahren zeigen [16]. Die Mehlanreicherung mit FS und die empfohlene tägliche FÄ-Dosis sind wesentlich geringer, als in diesen Studien verwendet. Im Rahmen der epigenetischen Modifikation von DNS durch Methylgruppen bleiben viele offene Fragen, wie FS die Prävention von Krankheiten beeinflussen kann, im positiven und negativen Sinn [16].
Einige Alterskrankheiten sind mit erhöhtem Homocystein assoziiert, was für deren Prävention mit Folaten sprechen könnte. So haben epidemiologische Studien auf den Zusammenhang zwischen der Folatversorgung und kognitiven Beeinträchtigungen im Alter wie Altersdemenz, Alzheimer und depressive Störungen hingewiesen [2, 10]. Bei hohem Homocystein ist das Risiko für diese Krankheiten doppelt so hoch wie bei niedrigem Homocystein. In einer amerikanischen Studie ergab ein tägliches FS-Supplement eine 50-prozentige Senkung des Risikos. In einer anderen Studie mit 800 µg FS/d liessen sich die kognitiven Funktionen (Gedächtnis und Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung) signifikant verbessern. Auch die altersbedingte Schwerhörigkeit war bei dieser Studie günstig beeinflusst. Bei melancholischer Depression bestand ein signifikanter Zusammenhang mit niedrigen Folatwerten [2].
Neuere Arbeiten weisen auch auf Zusammenhänge des Methyl (C1-)-Metabolismus mit der Spermiogenese und männlicher Infertilität hin [17]. Untersuchungen bei jungen Männern haben gezeigt, dass sich die Spermienqualität in den letzten Jahren verschlechtert hat. Nach einer amerikanischen Studie hat eine Unterversorgung mit Folat einen negativen Einfluss auf Spermienzahl und Chromosomenbrüchigkeit. Mit einer gezielten FS-Therapie in Kombination mit Zink konnten diese Veränderungen um bis zu 30% gesenkt werden [18]. In einer vergleichenden Studie hat eine Wiener Arbeitsgruppe bei 132 subfertilen Männern während dreier Monate eine Behandlung mit zwei Kapseln einer Mischung von Folsäure, Zink, L-Carnitin, L-Arginin, Vitamin E, Glutathion, Selen und Coenzym Q 10 (als PROFERTIL in Österreich im Handel) behandelt und mit einer Gruppe von 73 subfertilen Männern ohne Behandlung verglichen. Die Messung der Resultate erfolgte durch die standardisierte Spermienanalyse, Samenzelldichte, Ejakulatvolumen, Samenbeweglichkeit und Morphologie. Die Befunde konnten um 23–83% verbessert werden, und in einer sechsmonatigen Beobachtungsphase wurden in der Behandlungsgruppe 34 Schwangerschaften gemeldet gegenüber elf in der Kontrollgruppe [19].
Im Bereich des Stoffwechsels und Transports von Folat/Folsäure sind seltene Störungen bekannt, die zu Folatmangel oder zu ungenügender Bildung von 5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) und dessen Transport in die Zelle oder innerhalb derselben führen. Für diese Störungen kann FS keine Präventivwirkung haben, da sie früh auftreten. Sie zeigen das Vollbild eines extremen Mangels an FS, sind aber mit entsprechenden Folatpräparaten wie Folinsäure (Leucovorin, citrovorum factor oder Formyl-THF) oder Metafolin (5-MethylTHF) behandelbar [20]. Bekannt ist die hereditäre Folsäure-Malabsorption, die zu megaloblastärer Anämie, Gedeihstörung, Immundefizienz, neurologischen Symptomen und geistiger Behinderung führen kann. Der zerebrale Folsäure Transport-Mangel (FOLR1-Mangel) betrifft den Folatrezeptor, führt zu vermindertem Folat im Liquor (Serumwert normal), beginnt im frühen Kindesalter mit progredienter Bewegungsstörung, Epilepsie und Hypomyelinisierung. Dihydrofolat-Reduktase-Mangel (DHFR-Gen) kann zu normalem Serumfolat führen, nicht aber zu 5-MTHF und damit zu vermindertem Liquorfolat und den bereits oben beschriebenen neurologischen Symptomen mit megaloblastärer Anämie und Panzytopenie [20].
Der Methylentetrahydrofolat-Reduktase-Mangel (MTHFR-Mangel) führt ebenfalls zu einem schweren frühkindlichen Krankheitsbild. Bekannt ist bei diesem Gen ein Polymorphismus (MTHFR-C677T), der mit einem erhöhten Folatbedarf einhergeht und zu milder Erhöhung des Homocysteins führt [20]. Er ist auch ein Risikofaktor für NRD. Deshalb wird bei der Prävention von NRD in der Schwangerschaft auch das Präparat Femibion empfohlen, das neben Folsäure noch Metafolin (die aktive Form = 5-Methyltetrahydrofolat, umgeht den Polymorphismus) enthält. Dieses Produkt wird zwar in der Schweiz hergestellt, ist aber vorläufig nur im Ausland erhältlich.
Gefahren einer Anreicherung mit Folsäure oder von Supplementen
Obwohl hohe Dosen von FS (≥15 mg/Tag) keine direkten toxischen Wirkungen zeigten [15], wurden Bedenken im Rahmen der Anreicherung von Lebensmitteln mit FS geäussert. Eine hohe Zufuhr von FS maskiere eine Vitamin-B12-Mangel-Anämie, da FS die typischen Blutveränderungen korrigiere und sich damit auch – wegen der verpassten Diagnose – das neurologische Bild des B12-Mangels verstärkt. Deswegen wurde die obere Grenze («upper level») der täglichen Zufuhr auf 1000 µg (1 mg) festgelegt, unterhalb derer diese Wirkung nicht besteht. Andere nicht bewiesene Bedenken betreffen die Förderung von Krebs (s.o.) und auch mögliche epigenetische Veränderungen. Bei einer Dosis von >200 µg FS kann im Blut unmetabolisierte (freie) FS gefunden werden, über deren Bedeutung noch Unklarheit besteht. Jedenfalls wurden bisher keine definitiven negativen gesundheitlichen Folgen gefunden [15].
Schlussfolgerungen
Die Wirkungen der Folsäure und die Erfolge bei der Prävention zahlreicher Krankheiten machen deutlich, dass eine optimale Zufuhr dieses Vitamins gewährleistet sein sollte. Leider zeigen zahlreiche Erhebungen im In- und Ausland, dass die Versorgung mit FS bei einem Teil der Bevölkerung ungenügend ist [2 ,5]. Es ist deshalb nicht erstaunlich, wenn manche Leute, ca. 30–40%, Supplemente mit FS zu sich nehmen [21, 22].
Die einfachste und billigste Art, die FS-Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, ist die Anreicherung des Backmehls mit FS. Dies würde der gesamten Bevölkerung dienen, vor allem den sozial schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen, die am meisten für einen Folatmangel gefährdet sind. Eine Anreicherung mit FS und Vitamin B12 wurde 2002 von einer Expertengruppe der Eidgenössischen Ernährungskommission vorgeschlagen [11], aber unter anderem von den Konsumentenorganisationen als Zwangsmassnahme abgelehnt. Sie ist auch aus gesetzlichen Gründen zurzeit nicht möglich. Vielleicht kann eine erneute parlamentarische Interpellation dies für die Zukunft ändern [23].
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
- Einnahme einer ausgewogenen folatreichen Nahrung durch viel frisches Gemüse und Früchte sowie Vollkornprodukte
- Eventuelle Ergänzung dieser gesunden Kost durch spezielle mit FS angereicherte Lebensmittel (Nahrungsergänzung)
- In bestimmten Situationen zusätzliche Einnahme von Supplementen (200–400 µg FS), zur Einhaltung einer optimalen Versorgung
- Für Frauen, die schwanger werden können oder möchten, ist eine tägliche Supplementation von 400–600 µg FS (am besten in Form eines Multivitamins) mind. vier Wochen vor Beginn der Schwangerschaft und in den ersten zwölf Schwangerschafts-Wochen zur Verhütung von Neuralrohrdefekten und anderen Fehlbildungen unerlässlich.
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HAUSARZT PRAXIS
Prof. Dr. med. Kurt Baerlocher
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