Die Letalität auf Arzneimittelreaktionen beträgt 10%. Medikamentenallergien und Anaphylaxien bilden somit einen Themenkomplex, mit dem man sich in Klinik und Praxis eindringlich auseinandersetzen muss, da die Folgen teils dramatische Züge annehmen können.

DRESS bei 6-Jährigem

Die Kombination eines DRESS (Drug reaction with Eosinophilie and systemic symptoms) und eines PASI III, also mehr als 2 glanduläre Autoimmunerkrankungen, die bei genetischer Prädisposition auftreten, sorgte für einen dramatischen Verlauf bei einem 6-Jährigen [1].

Das Kind mit Knochenfraktur und Osteomyelitis erhielt Sulfamethoxazol/Trimetoprim und entwickelte daraufhin ein DRESS. Der Junge hatte defekte Tregs und war HHV-6-assoziiert. Für die Pädiater war das Kawasaki-Syndrom mit in der differenzialdiagnostischen Erwägung, was in der Behandlung einen massiven Einstieg mit Prednisolon und der frühzeitigen Gabe von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) zur Folge hatte.

Die Gabe des Sulfamethoxazol/Trimetoprim aufgrund des Osteomyelitis schlug zunächst ganz gut an und es heilte ab. Die Pädiater kamen daraufhin aber in die Diskussion, ob es wirklich ein DRESS ist oder ob nicht intravenöse Immunglobuline und hoch dosiert Steroide zum Einsatz kommen sollten. Letztlich wurde sehr intensiv weiterbehandelt – mit heftigen Folgen: Es entwickelte sich eine diabetische Ketoazidose, nach 4 Monaten eine Hashimoto-Thyreoiditis, nach 7 Monaten Alopezie, nach 21 Monaten Vitiligo, der Junge bekam choroidale Läsionen, sodass man sogar von einer Vogt-Koyanagy-Harada-Erkrankung sprach.

«Alles in allem ein ganz dramatischer Verlauf, und das ist kein Einzelfall: Es sind 5 weitere Fälle beschrieben, in denen man nach DRESS und nachfolgender Autoimmunerkrankung mit Differenzialdiagnose zum Kawasaki-Syndrom ganz intensiv in die Therapie eingestiegen ist», erläuterte Prof. Bayerl. Ihre Schluss­folgerung: Man sollte bei derartigen Verläufen frühzeitig die Autoantikörper messen, Diabetes checken, Schilddrüsen-Autoantikörper screenen, weil offensichtlich diese im frühen Kindesalter auftretende massive Immunsuppression Tür und Tor öffnet für immunologische Reaktionen. Möglicherweise hätte die Therapie ihrer Einschätzung nach weniger aggressiv erfolgen können – aber hinterher ist man immer schlauer.

Intraoperative Anaphylaxie

Ein 71-jähriger Patient mit COPD und Vorhof­septum­defekt brauchte währen der Operation ein Hämostyptikum (auf Schweinegelatinebasis), was auf OP-Nähte gegeben wird. Nach wenigen Minuten setzte bei dem Mann eine anaphylaktische Reaktion ein.

Die allergologische Anamnese ergab, dass der Patient im Alter von 8 Jahren von einer Zecke gebissen und anschliessend auf α-Gal sensibilisiert wurde [2]. α-Gal ist ein Kohlenhydrat im Zeckenspeichel und findet sich in rotem Fleisch der meisten Säugetiere. Für die Dauer von ca. 10 Jahren hatte der Patient zudem eine Fleischallergie bekommen, die aber irgendwann wieder verschwand. Doch nun, im Alter von 71 Jahren, ist erneut eine Reaktion auf Gelatine über seine alte α-Gal-Sensibilisierung aufgetreten, was über die Antikörper im Serum auch nachweisbar war.

«Vor blutungsreichen OPs sollten wir eine ausführliche Anamnese machen und nach der Toleranz von Fleisch und Gummibonbons fragen», lautete die Konsequenz für Prof. Bayerl.
Cave: Auch Impfstoffe gegen Masern, Mumps, Röteln können Gelatine enthalten.

Anaphylaxie bei Narkose

Ein junger Patient, 17 Jahre, Atopiker, wurde während der ITN vorbereitet für eine laparoskopische Varikozelektomie. «Die Kollegen nehmen dafür gerne das Patent blau, damit sie die Bahnen deutlicher darstellen können», erklärte Prof. Bayerl.

50 Minuten nach der Gabe von 2 ml Patent blau V intraskrotal hat der junge Mann ein ordentliches Erythem und eine Urtikaria entwickelt. Er wurde mit Antihistaminika und Kortikosteroiden versorgt [3]. «Aber dann, nach etwa 2 Stunden, ging die ganze Sache erst so richtig los – Juckreiz, Atemnot, Epinephrin, Sauerstoff, nochmal Antihistaminika, das ganze Programm. Eine typische biphasische Reaktion!»
Die Hauttestung auf Patent blau V wurde stufenweise vorgenommen, zuerst Prick unverdünnt mit negativem Ergebnis, danach intrakutan 1:100 ebenfalls negativ und schliesslich i.c. 1:10 mit positivem Resultat, sprich einer Quaddelreaktion mit umgebendem Erythem.

Fazit: Patent blau V (E131) ist ein Trigger für Anaphylaxien. Wichtig zu wissen: Es wird auch als Nahrungsmittelzusatzstoff eingesetzt sowie in Textilfarben und Medizinprodukten (Laxantien). Für den operativen Einsatz z.B. bei einer Varikozelektomie könnte man als Alternative genauso gut Methylenblau verwenden, riet die Expertin.

Cave: Biphasische anaphylaktische Reak­tionen sind bei 5% aller Anaphylaxien zu finden.

Anaphylaxie in der Schwangerschaft

Eine ungewöhnliche Kasuistik vor allem deshalb, weil in der Schwangerschaft eine Hauttestung grundsätzlich vermieden wird. Aufgrund von Blutdruckabfall bei der Mutter, einer intrapartalen Asphyxie des Kindes und hypoxischer Hirnschädigung sind Anaphylaxien in der Schwangerschaft sehr unerwünscht. Warum es in diesem südkoreanischen Fallbeispiel dennoch gemacht wurde, konnte auch Prof. Bayerl nicht nachvollziehen und fand auch in der Literatur [4] keine einleuchtende Erklärung.

Eine 34-jährige Multigravida, Sektio in der 37. Schwangerschaftswoche geplant, wurde getestet auf Cefotetan (2. Generation Cephalosporin i.v./i.m.). Die Frau hatte es bereits mehrfach gut vertragen und keine Medikamentenallergie in der Anamnese. Bei der Testung mit 1:100 am Unterarm hat sie nun reagiert: Innerhalb von Sekunden entwickelten sich Urtikaria und Dyspnoe, sie musste sich erbrechen, beim Kind kam es zu einer Bradykardie.

Die Ärzte gaben Sauerstoff, Antihistamini­ka und Hydrokortison, jedoch kein Epinephrin (wegen der Versorgung des Kindes im Uterus). Es kam zur Notfall-Sektio in ITN, das Kind hat sich im weiteren Verlauf wieder erholt, die Mutter lag allerdings mit dramatischerem Verlauf noch längere Zeit auf der Intensivstation.

Fazit: Die Inzidenz der Cefotetan-Anaphyla­xie liegt bei 1,4% bei prophylaktischer Gabe bei Kaiserschnitt. Es bleibt unklar, warum der Hauttest erfolgte. Epinephrin kann uterine Vasokonstriktion auslösen. Anaphylaxien nach i.v. Antibiose in der Schwangerschaft sind beschrieben, jedoch nicht bei einer Hauttestung. Kontrovers sind der Zeitpunkt und die Art der Geburtseinleitung nach Anaphylaxie bzw. die Entscheidung, zunächst pro Mutter (dann doch Epinephrin-Gabe) oder pro Kind vorzu­gehen.

Anaphylaxie nach Oralverkehr

Zum Schluss noch eine Kasuistik getreu dem Motto Sex sells: Eine 31-jährige Patientin kommt mit anaphylaktischer Reaktion auf die Intensivstation – Dyspnoe, Urtikaria und Vomitus. Anamnestisch bekannt ist eine Penicillinallergie in der Kindheit. 4 Stunden vor der Anaphylaxie hatte die Frau Oralsex mit ihrem Partner – dieser nahm aufgrund einer Ohrinfektion Amoxicillin ein.

«Wir lernen daraus: Amoxicillin kann ins Sperma gelangen. Bei einer Medikamenteneinnahme, auf die der Partner bzw. die Partnerin allergisch reagiert, ist daher die Anwendung eines Kondoms zu empfehlen», so Prof. Bayerls Schlussfolgerung. Eine Sperma-Allergie lag in diesem Fall nicht vor.

Quelle: Allergo-Update Berlin (D)

Literatur:

  1. Morita C, et al.: BMJ Case rep 2018; doi: 10.1136.
  2. Lied GA, et al.: J Asthma Allergy 2019; 12: 163–167.
  3. Leung M, et al.: BMJ Cas Rep 2019; 12: e226191.
  4. Jeon HJ, et al.: Medicine 2018; 97: 37.
  5. Gomez Caballero N, et al.: BMJ Case reports 2019; 12: e227398.

InFo PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE 2(1): 26

Jens Dehn

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